Die Kritik an der europäischen Integration schiesst oft übers Ziel

Man konnte das bei der sogenannten Überfremdungsinitivative sehen, die – aus meiner Sicht: leider – in der Schweiz angenommen wurde und nun zu viel Kopfzerbrechen führt. Damit ich richtig verstanden werde: einiges von der Kritik war richtig. Nur braucht es intelligente Lösungen, die das Grundprinzip des freien Personenverkehrs belassen und dort ansetzen, wo die Schwierigkeiten sind.
Das Thema Personenverkehr ist immer und überall geeignet, Ängste auszulösen und bietet daher Populisten das ideale Tummelfeld, sich zu profilieren. In England hat dies nun dazu geführt, dass eine Partei, deren hauptsächlicher Zweck der Austritt aus der EU ist, erheblichen Zulauf erhalten hat – die UKIP. Auf den ersten Blick könnte man nun befürchten, dass das Vereinigte Königreich Europa abhanden kommen könnte. Immerhin will der britische Premierminister Cameron bei einem Wahlerfolg eine Abstimmung über einen EU-Austritt durchführen. Offenbar betreffen die Bedenken gegen die EU vor allem den freien Personenverkehr. Es scheint aber, als ob die Bevölkerung auf der Insel die Sache differenzierter sieht. Gemäss einer Umfrage sind je ein Viertel der Briten uneingeschränkt für oder explizit gegen den freien Personenverkehr. Die Hälfte der Briten ist der Ansicht, dass das Grundprinzip sinnvoll ist, dass aber etwas gegen die Auswüchse getan werden muss. Wie so oft ist die Mehrheit somit recht vernünftig.
Kurzsichtiges Denken
Es ist dem Menschen eigen, dass er Wohltaten rasch vergisst, aber die Nachteile umso heftiger sieht. Die EU hat über die letzten Jahrzehnte Frieden und Freiheit gebracht. Einschränkungen in der Ausbildung, in der Zulassung zur Arbeit, im Handel und bei Dienstleistungen sind in den letzten 20 Jahren zuhauf gefallen. Es sind die vier Grundfreiheiten, nämlich der freie Verkehr mit Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personenfreizügigkeit, welche Wohlstand, Handel und persönliche Freiheit gebracht haben. Daher zeugt es von grosser Vergesslichkeit und Kurzsicht, auf dies verzichten zu wollen.
Freiheit kann aber auch missbraucht werden. So war es erfreulich, dass gerade vor Kurzem auch die deutschen Gerichte dem Europäischen Gerichtshof etwas zur Vorabentscheidung vorgelegt haben. Es ging darum, dass eine Person, die noch nie in Deutschland gearbeitet hatte und nicht in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt hatte, gleichsam sofort mit dem Zuzug in die Sozialsysteme eintauchen wollte. Dagegen darf man – so die Richter – einen Riegel vorschieben. Es scheint mir sowieso so zu sein, dass man sich zu sehr und sehr stark von den ärgerlichen Einzelfällen und Missbrauchsfällen ablenken lässt. Hier müsste die Politik mit gesetzgeberischen Massnahmen und die Justiz mit einem konsequenten Vollzug einschreiten.
Es muss möglich sein, bei einer zu starken Zuwanderung einzugreifen. Man hat am Beispiel der Schweiz gesehen, zu welchen unguten Resultaten es führt, wenn auf die Ängste und Sorgen nicht reagiert wird. Eine Reaktion kann aber nicht im Sinne der UKIP mit dem Austritt Grossbritanniens aus der EU oder wie in der Schweiz mit der Annahme der Überfremdungsinitiative erfolgen. Eine Reaktion muss intelligent erfolgen und zwar innerhalb der Spielregeln.
Zentraleuropa hat nun seit bald 70 Jahren dauerhaften Frieden. Dies ist nicht nur, aber auch das Ergebnis der europäischen Integration. Dies sollte man bedenken, wenn man sich wieder einmal über Einzelheiten der europäischen Integration aufregt.
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